„Ich muss leben, Ihr werdet wieder Großeltern“ – blog 006
Ich wusste sofort, was Sache ist. Ich wusste sofort, dass es Krebs ist, als der Professor von der „schlechten Nachricht“ sprach. Der sonst so kühle, abgeklärte Arzt lehnte mit Rücken an meinem Patientenschrank und sagte sichtlich betroffen, dass die Pathologie auf dem eingeschickten Gewebe bösartige Zellen gefunden habe. Es handelte sich um ein Plattenepithelkarzinom, welches sich auf die Zyste gelegt hatte.
Meine ersten Gedanken und Fragen an ihn waren: Wie lange habe ich noch? Wie geht es nun weiter? Und warum gerade ich? – Sind das die drei klassischen Fragen, die man stellt, wenn man die Diagnose Krebs bekommt? Wäre mal interessant zu klären.
Prof. N. erklärte mir, dass es sich bei meinem Krebs u.a. um ein CUP-Syndrom handeln würde. Ein CUP–Syndrom (Cancer of Unknown Primary = Krebserkrankung mit unbekanntem Primärtumor) sind Tumorabsiedelungen – also Metastasen – obwohl kein Ursprungstumor im Körper entdeckt werden kann. Es könne also gut sein, dass bis dato noch nichts gestreut hat. Allerdings seien die Lymphknoten wie eine „Dreckschleuder“, die mutierte Zellen schnell in Umlauf bringen könnten. Demnach wollte er auf Nummer sicher gehen und nochmals operieren.
Zu dem Zeitpunkt war es ca. 14.00 Uhr und er fragte mich, wann ich das letzte Mal gegessen und geraucht hätte. „Heute Mittag so um 12.00 Uhr.“ Einer Not-OP stand zeitlich also nichts im Wege. Er sagte mir, dass er die OP nun planen würde und gegen 15.00 Uhr nochmals zu mir kommen würde. Bis dahin hätte ich Zeit, um mich ein bisschen zu sammeln. Als er das Zimmer verließ, machte ich drei Telefonanrufen: 1) Meine Verlobte A. Sie war bereits auf dem Weg ins KH und sollte nur ein paar Minuten später bei mir sein. 2) Meine Eltern. Erstaunlicherweise war es meine Mutter, die ganz ruhig und sachlich blieb und eine enorme Ruhe auf mich ausstrahlte. Auch meine Eltern machten sich sofort auf den Weg. 3) Mein Chef H. D. Ihm wollte ich eigentlich nur mitteilen, dass ich am Montag nicht ins Büro kommen würde. Ich heulte wie ein Schlosshund und auch er beruhigte mich und ließ mich wissen, dass alles andere jetzt wichtiger sei.
Kurz nachdem meine Verlobte im KH ankam, kam auch Prof. N. wieder in mein Zimmer und klärte mich nun über den weiteren Verlauf auf. Er sagte, es sei eine Not-OP, weil man schnell handeln müsse, um die Gefahr der Streuung durch das Lymphsystem zu minimieren. Man würde mit der so genannten „Neck Dissection“ alle Lymphknoten auf der linken Halsseite entfernen. Die OP würde ca. 2,5 Stunden dauern. Das gesamte OP-Team sei informiert und es würde um 18.00 Uhr losgehen. Ich möge mich demnach bereithalten und auf dem Zimmer bleiben. Zumal auch noch die Anästhesistin kommen würde.
Zwischenzeitlich waren nun auch meine Eltern eingetroffen. Meine Mutter war immer noch der „Fels in der Brandung“, während mein Vater nah am Wasser gebaut war. Eigentlich war er immer der Harte Hund und Geschäftsmann, der seine Emotionen im Griff hatte. Hier sah die Sache nun anders aus. Unter Tränen sagte ich meinen Eltern, dass ich nicht sterben dürfe, sondern einfach leben müsse. Denn es gäbe einen einfachen Grund: „Ich werde wieder Vater und Ihr noch einmal Großeltern. Ich kann jetzt nicht einfach verschwinden.“ Die Reaktion: Große Augen, offener Mund, Tränen und Lachen zugleich. Und diese Tatsache, dass ich wieder Vater werden würde und zu diesem Zeitpunkt schon zwei wundervolle Kinder hatte, war für mich das Mantra des (Über-) Lebenswillens.
Meine Eltern verabschiedeten sich dann auch wieder, weil sie wussten, dass ich bei meiner Verlobten in guten Händen sei. Nun folgte noch die Anästhesistin mit dem obligatorischen Papierkram. Und um 18.00 Uhr ging es dann auch wie geplant los. Ich wurde in meinem Bett den bekannten Weg in den OP-Bereich gerollt und ohne Umwege in den OP geschoben. Mir ging es ziemlich beschissen und ich fror wie eine Frostbeule. Ich versuchte noch ein bisschen Smalltalk mit dem OP-Pfleger, um mich selber von der Situation abzulenken. Ich sagte zu ihm, dass ich eigentlich heute Abend Fußball im TV schauen wollte, weil der FC um den Einzug in den UEFA-Cup gegen Bremen spielt. „Sie wissen schon, dass hier nur Gladbach-Fans arbeiten?“ Aber er würde mir dennoch die Daumen drücken, für die OP und für den FC.
Im OP wurde ich erneut verkabelt und in Position für den Eingriff gebracht. So langsam trudelte das gesamte OP Team ein. Die Anästhesistin versorgte mich mit dem Schlaf-Cocktail und öffnete langsam den Zugang. Während dessen nahm die Co-Operateurin Frau Dr. Z. meinen Kopf in den Arm und sagte nur: „Waren Sie dieses Jahr schon im Urlaub? Stellen Sie sich einen tollen Strandurlaub mit ihren Kindern vor. Wir passen auf Sie auf und sehen uns gleich wieder!“
Ich heulte und schlief ein.